Foto oben: In Wien kommt es infolge des Corona-Lockdowns zu Hamsterkäufen.
Foto unten: Am Weg zurück in meine Heimatgemeinde Öblarn. Festgehalten mit dem Selbstauslöser meiner Analogkamera.
Im Garten fernab von Corona lässt sich die Krise gut ausblenden. Aber ist die Situation am Land wirklich besser? Eine persönliche Erzählung von der Rückkehr in die Heimat.
von Nina Thiel (Text und Bild)
Gestaltung: Heinz Stephan Tesarek
Es ist ungewöhnlich warm für einen obersteirischen März. Mein Vater gießt die Hochbeete öfter als üblich, so auch heute am Sonntag. Ich trage keine Schuhe. Das Gras im Garten meiner Eltern ist lange und weich. Die Mittagssonne spiegelt sich in den Glashäusern und blendet mich. Mit zugekniffenen Augen beobachte ich, das Wasser aus dem Gartenschlauch und auf die kleinen Salatpflanzen regnenIch höre zwitschernde Vögel und die Stimme meiner Mutter. Zwischen den Hochbeeten telefoniert sie mit Verwandten. Ich lege mich ins Gras und bin froh nicht mehr in der Großstadt zu sein. „Die Armen“, geht es mir durch den Kopf. Ich verfolge das Telefonat und denke an Verwandte und Freund_innen in städtischen Wohnungen.
Wo das Leben still steht
Obwohl die Pandemie mit der Schließung von Hochschulen und einer willkommenen Lernpause beginnt, habe ich beschlossen, Wien zu verlassen. Alleine in meiner Singlewohnung – sie hat zwei Fenster aber keinen Balkon, Terrasse oder Gartenzugang – würde ich Ausgangsbeschränkungen nicht erleben wollen. Lieber dorthin, wo das Leben angeblich still steht.
Ich befinde mich in meiner Heimatregion: der 2.020-Einwohner Marktgemeinde Öblarn. Österreich erlebt seit über zwei Wochen einen sogenannten Lockdown: Geschäfte für Luxusgüter haben geschlossen, Freizeit- und Kulturangebote wurden eingestellt. Veranstaltungen wurden abgesagt oder auf unbekannte Dauer verschoben und die Außengrenzen bis auf Ausnahmen geschlossen. Die Bevölkerung wird dazu aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Die Weitläufigkeit meiner Heimatgemeinde beruhigt mich. Immerhin leben hier nur etwa 29 Menschen pro Quadratkilometer während es im Bundesland Wien durchschnittlich 4.609 gemeldete Einwohner_innen auf gleicher Fläche sind. Gesperrte Bundesgärten verkleinern den städtischen Freiraum zusätzlich. Einschränkungen bei der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel verhindern Ausflüge in umliegende Naturgebiete. „Die sind eh arm, die Wiener “, besprechen wir, während wir die Situation in den Fernsehnachrichten verfolgen.
Während die Stadt Wien am 24. März, 542 am Corona-Virus Erkrankte meldet, sind es am Land deutlich weniger. Im Bezirk Liezen, welcher Öblarn gemeinsam mit 29 Gemeinden umfasst, verzeichnet das Gesundheitsministerium am selben Tag 49 infizierte Personen. Die Zahlen wirken im ersten Moment beruhigend, stützen aber nicht meine Vorstellung der ländlichen Sicherheit. Prozentuell gesehen sind in der Hauptstadt sogar weniger Menschen mit dem Virus infiziert.
Video oben: Die Krise bringt auch kindliche Unbekümmertheit mit sich – meine erste Runde auf dem Einrad nach sieben Jahren.
Heimaturlaub im Homeoffice
Einige Tage nach der Rückkehr in meine Heimatgemeinde ist die Lernpause vorüber. Ich sitze am Laptop und befinde mich „an der Fachhochschule“. Das Gästezimmer meiner Eltern ist zu meinem Homeoffice geworden. Der digitale Unterricht ist ungewohnt für Lektor_innen als auch für Studierende. Technische Probleme, schlechte Internetverbindungen und Unklarheiten zum Ablauf von Prüfungen prägen die Online Gespräche. Die letzte Vorlesung des Tages ist vorbei. Meine Augen Schmerzen vom grellen Computerlicht und eine weitere Videokonferenz startet. Mit einer Dose Bier in der Hand, begrüße ich meine Freund_innen am Bildschirm. Sie befinden sich momentan in Wien. Wir sprechen darüber, wann wir uns wiedersehen würden. „Ich weiß es nicht.“ Noch plane ich nicht nach Wien zurück zu kehren.
Es ist eben besser, während der Corona-Krise am Land zu leben. Zumindest sind 76% der Österreicher_innen dieser Annahme, wie eine Umfrage von Raiffeisen Immobilien ergeben hat. Aber auch die ländliche Idylle ist von Corona betroffen. Zwei örtliche Gasthäuser, ein Café sowie zwei Friseurbetriebe mussten in Öblarn, den Auflagen der Regierung entsprechend, während des sogenannten Lockdowns schließen. Besonders stark leidet laut dem Arbeitsmarktservice die Tourismusbranche an der Krise. Sie ist der einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige meiner Heimatregion. Die Arbeitslosigkeit im Ort ist seit Februar um etwa 73% gestiegen, während die Zunahme in Wien, laut AMS bei etwa 38% gelegen hat.
Beschauliches Landleben
Für die Einheimischen erscheint die Situation herausfordernd. Trotzdem „flüchten“ viele Menschen während der Corona-Krise aus urbanen Regionen aufs Land. Insgesamt 170 Personen haben laut der Gemeinde ihren zweiten Wohnsitz in Öblarn gemeldet. Wie viele Ferienhäuser während der Corona-Krise tatsächlich bezogen wurden, ist unklar. Man merke aber die Rückkehr vieler Menschen, welche die meiste Zeit in Städten leben, arbeiten oder studieren wie Sandra Bucher, Angestellte im Gemeindeamt, erzählt. Mindestens drei weitere Wiener Studierende treffe ich im gemeinsamen Heimatort. Eine von ihnen, Lena, meint: „Man muss es am Land gar nicht mitkriegen – man lebt sein beschauliches Landleben.“ An Corona denke sie aktuell nur, sobald sie im einzigen örtlichen Lebensmittelgeschäft ihre Schutzmaske trägt.
Etwa sieben Wochen nach meiner Stadtflucht, befinde ich mich wieder in Wien. Die österreichische Wirtschaft fährt langsam hoch, wie es Expert_innen nennen. Die Maßnahmen haben Wirkung gezeigt und die Zahl der täglichen Neuerkrankungen in Österreich hat sich im zweistelligen Bereich eingependelt. Tendenz landesweit fallend.
Ich schaue aus einem der beiden Fenster meiner Wohnung und beobachte die Menschen auf der Straße. Wenige tragen Mundschutz. Den Mindestabstand halten fast alle ein. Die Wiedereröffnung meines Lieblingscafés, die bekannten Bierverkäufer_innen am Donaukanal und die Aussicht auf bald wieder stattfindende Filmvorstellungen im Schikaneder Kino nehmen mir dir einstige Unsicherheit vor der Einengung der Stadt. Die zahllosen Möglichkeiten des städtischen Alltags kehren zurück. Heute erkenne ich die Fragilität meiner urbanen Freiheit und schätze sie dadurch umso mehr. Vor allem schätze ich aber seit dem Corona-Lockdown die Beständigkeit meiner Heimat. Und ihre Unabhängigkeit. Die Möglichkeit der gelegentlichen „Flucht“ auf’s Land erscheint mir seit der Krise wertvoller denn je. ZZ
Diese Reportage entstand im Rahmen einer Lehrveranstaltung des Instituts für Journalismus und Medienmanagement an der FH Wien.
Über die Autorin
Nina Thiel studiert Content Produktion und digitales Medienmanagement an der FH Wien der WKW. Als freie Fotografin und Journalistin berichtet sie vor allem für die Wiener Straßenzeitung „Augustin“. Aufgrund eingeschränkter Möglichkeiten während des Lockdowns ist die Reportage „Der Corona-Lockdown und die armen Wiener“ mit analogen Fotografien bebildert. Es handelt sich um die ersten analogen Filmaufnahmen der Autorin.
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